Der Marsch beginnt in Pirna

China versucht, seinen Einfluss in der EU auszubauen, und sucht Kontakte zu rechtsextremen Parteien. Der neue Oberbürgermeister im sächsischen Pirna ist einer Partnerschaft mit einer chinesischen Großstadt nicht abgeneigt.

Mitte Dezember stand das sächsische Pirna wieder einmal im Fokus der Medien. Tim Lochner gewann dort am 17. Dezember im zweiten Wahlgang die Oberbürgermeisterwahl und wurde damit als erster AfD-Kandidat in ein solches Amt gewählt. Im Speckgürtel von Dresden ist die Partei mittlerweile derart etabliert, dass sich die Kandidatur auf ihrem Ticket auch karrieremäßig lohnt.

Lochners Weg in die Partei ist typisch für viele Kommunalpolitiker in Ostdeutschland. Der Inhaber einer Tischlerei wurde 2014 für die CDU in den Stadtrat gewählt, trat 2016 jedoch aus. In seiner Zeit als fraktionsloser Abgeordneter versorgten ihn AfD, CDU und Freie Wähler mit Aufsichtsratsposten von städtischen Gesellschaften. Später gründete er seine eigene Wählervereinigung »Pirna kann mehr«. Bereits Anfang 2020 gehörte er der AfD-Fraktion im Stadtrat an, ohne jedoch der Partei beizutreten.

Dem Bericht »Sachsen rechts unten 2019« von der Amadeu-Antonio-Stiftung und dem Kulturbüro Sachsen zufolge beteiligte sich Lochners Firma 2016 mit sieben weiteren Unternehmern am Verein Pro Patria Pirna, der unter anderem von der rechtsextremen Initiative Ein Prozent beworben wurde. Aktivitäten der Neuen Rechten sind in der 40.000 Einwohner zählenden Stadt keine Seltenheit. 2022 lud ein Vorstandsmitglied der örtlichen Freien Wähler den neurechten Verleger Götz Kubitschek zu einem Vortrag ein.

Beiträgen des Recherchezentrums Correctiv und des Tagesspiegels zufolge betreibt die lokale Volksbank, deren Aufsichtsrat Lochner von 2004 bis 2016 angehörte, die Konten des Pegida-Fördervereins, der MLPD und von Apolut, das 2021 die Nachfolge von Ken Jebsens verschwörungstheoretischer Plattform KenFM angetreten hatte. Die zum Netzwerk des russischen Propagandasenders RT gehörende Videoagentur Ruptly nutzt trotz EU-Sanktionen ebenfalls ein Konto der Volksbank Pirna. Seit kurzem ist auch Sahra Wagenknechts neuer Verein BSW dort Kunde.

Dass sich diese dubiose Mischung aus rechtsextremem Unternehmertum und antiwestlichem Verschwörungsgeraune politisch kapitalisieren lässt, haben auch andere erkannt. Maximilian Krah, der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, ist in Pirna ein gerngesehener Gast.

»Es ist richtig, dass wir hier von Pirna aus (…) den Marsch beginnen, um Europa zu verändern«, rief Krah laut einer Reportage von T-Online bereits im Mai 2019 auf dem Marktplatz der Stadt. Worte, die an den zentralen Heldenmythos der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) erinnern, den »Langen Marsch«, mit dem Mao Zedong seinen Machtanspruch festigte.

Krah pflegt beste Kontakte nach China und fällt immer wieder damit auf, die repressive Politik der KPCh zu rechtfertigen. Laut T-Online trug er maßgeblich zur Entstehung eines deutsch-chinesischen Lobby-Netzwerks bei, in dem auch Lochner eine Rolle spielt. Auf Betreiben von Krahs Mitarbeiter Jian G. nahm Lochner demnach im November 2019 an einer Delegationsreise in die chinesische Provinz Zhejiang teil. In der dortigen Stadt Lishui verlieh ihm eine für inoffizielle Diplomatie zuständige Organisation der KPCh in Anwesenheit Krahs den Titel eines »Botschafters der Internationalen Freundschaft von Lishui«.

Kurz zuvor wurde bekannt, dass die chinesische Stadt auf der Suche nach deutschen Partnerkommunen sei und sich vorstellen könne, mit Pirna zu kooperieren. China zeigte damals unter anderem Interesse an dem geplanten Industriepark Oberelbe, um für das eigene Großprojekt »One Belt, One Road«, auch bekannt als »Neue Seidenstraße«, Flächen zu gewinnen und Industrie anzusiedeln. Pirnas Stadtverwaltung blockierte diese Vorhaben allerdings, was Lochner kritisierte. T-Online teilte er damals mit, er wolle diese Pläne wiederaufnehmen, sollte er Oberbürgermeister werden.

Pirna liegt in einem Straßen- und Eisenbahnkorridor, der Dresden über Prag mit Budapest verbindet, einem wichtigen Knotenpunkt der Neuen Seidenstraße in Europa. Dieses Projekt knüpft an den Mythos der Seidenstraße an, einer antiken Handelsroute, ist aber ein globales Infrastrukturprojekt der KPCh. Bislang haben sich rund 150 Länder angeschlossen.

2018 hielt Krah T-Online zufolge in China einen Vortrag unter der Schirmherrschaft der Silk Road Think Tank Association, die im Auftrag der Internationalen Abteilung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas (ILD) Kontakte ins Ausland knüpfen soll. T-Online sagte Krah, er habe sich »schlau gemacht über eines der größten Entwicklungsprojekte unserer Zeit, die Neue Seidenstraße«.

Der Verfassungsschutz bezeichnet die ILD als Teil des chinesischen Nachrichtendienstapparats, das bei der »Beschaffung hochwertiger politischer Informationen sowie zur Beeinflussung von Entscheidungsprozessen im Ausland« eine wichtige Rolle spiele. Im August 2019 gründeten Krahs Mitarbeiter Jian G. und ein mit beiden verbundener Unternehmensberater in Dresden den Lobbyverein »Neue Seidenstraße e. V.«.

Jüngst wies der Spiegel auf eine umfangreiche Auslandsstrategie Chinas hin. Der chinesische Geheimdienst versuche, Einfluss auf Politiker rechtsex­tremer Parteien in Europa zu nehmen. Im Zentrum dieser Aktivitäten stehe Frank Creyelman von der belgischen Partei Vlaams Belang, der unter anderem Aufträge an die »AfD-Leute« weitergeleitet habe. In vertraulichen Chatnachrichten eines chinesischen Geheimdienstmitarbeiters, die der Spiegel, die Financial Times und Le Monde gemeinsam ausgewertet haben, wurden diverse EU-Parlamentarier und Bundestagsabgeordnete als »unsere Abgeordnete« bezeichnet.

Im Frühjahr 2021 stellte Stefan Keuter, Bundestagsabgeordneter der AfD, eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung, in der er sich um eine Fluchtbewegung gewaltbereiter Aktivisten aus Hongkong sorgte. Von Januar 2016 bis Ende April 2021 hatte es jedoch nur acht Asylanträge aus Hongkong gegeben. Vier davon wurden positiv beschieden.

Die ungewöhnliche Anfrage ist den Recherchen des Spiegels zufolge mutmaßlich auf das Betreiben chinesischer Agenten zurückzuführen. Auch für eine Rufmordkampagne gegen den umstrittenen evangelikalen Anthropologen Adrian Zenz sollen chinesische Agenten Unterstützung gesucht haben. Zenz forscht unter anderem über ethnische Minderheiten in China und spricht von einem »demographischen Genozid« an den Uiguren in Xinjiang. Für Krah hingegen handelt es sich hierbei um »Anti-China-Propaganda ohne valide Fakten«.